Fabio Calo zur Situation in Griechenland

06. April 2015

Eins vorneweg: Die Griechen sollten unbedingt im Euroraum bleiben. Mag sein, dass ein Grexit, ein Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone, ökonomisch verkraftbar sein kann. Darüber streiten sich die Ökonomen. Für das europäische Projekt, dass es in unserer Zeit durch Fehler in der Umsetzung so schwer hat wie noch nie, wäre es eine Katastrophe. Es würde zeigen, dass Europa nicht gewillt und in der Lage ist, in Krisenzeiten gemeinsam zu stehen, dass die europäischen Staaten nicht über ihren nationalen Tellerrand hinausdenken können. Es würde Europa politisch, wirtschaftlich und moralisch schwächen, die einzigen, die davon profitieren können, sind die, die in den letzten Jahren schon viel zu stark geworden sind: die Europafeinde, wie die Front National, die gerade in Frankreich sehr erfolgreich bei den Departement-Wahlen abgeschnitten hat.

Das griechische Volk ist nicht Schuld an der Verschuldung seines Staates. Jahrzehntelang teilten die beiden (ehemals) großen Parteien Nea Dimokratia und PASOK (unsere griechische Schwesterpartei) und einige einflussreiche Familien das Land unter sich auf und etablierten ein korruptes System. Es ist immer wieder zu hören, dass die Griechen massenhaft den Fiskus betrügen würde, und dass die Griechen deshalb selbst an der katastrophalen Finanzlage ihres Landes schuld seien. Aber ich frage mich, ob es in Deutschland oder einem anderen Land anders wäre, wenn die Kontrollen so lasch wären und der Staat so leicht auszutricksen. Und man sollte sich außerdem daran erinnern, dass Deutschlands Wirtschaft nach dem zweiten Weltkrieg durch die Solidarität seiner westlichen Verbündeten auf die Beine gestellt wurde. Natürlich ist es legitim, wenn Griechenlands Geldgeber Reformen und konkrete Maßnahmen zur Sanierung des Staatshaushaltes fordern. Doch der harte Sparkurs den Angela Merkel und Wolfgang Schäuble Griechenland verschrieben haben, ist gescheitert. Die Wirtschaft erholt sich nicht, wenn die Griechen kein Geld in Investitionen und Anreize für die Wirtschaft stecken können. Die Griechen laufen Gefahr, sich zu Tode zu sparen. Das Prinzip der schwäbischen Hausfrau greift hier nicht. Wenn versucht wird, dieses auf eine Volkswirtschaft zu übertragen, ist das ökonomische Ignoranz. Die Griechen leiden unter dieser Austeritätspolitik. Ich finde es unerträglich, dass in Griechenland Krebs mittlerweile nur noch im Endstadium behandelt wird. Oder wenn die Säuglingssterblichkeit innerhalb von vier Jahren um 43 Prozent steigt. Die Liste ließe sich noch weiterführen. Anstatt Druck auszuüben im Gesundheitssektor zu sparen, massenhaft Leute zu entlasten und jede Chance auf wirtschaftlichen Aufschwung kaputtzusparen, sollte man sich fragen, wie man diese Krise sozial verträglicher lösen könnte. Warum wurde auf Griechenland kein Druck gemacht, die Reichen stärker zu besteuern? Oder warum wurde kein Druck gemacht, endlich wirksam die Steuerhinterziehung zu bekämpfen? Und warum fragt man die Griechen nie, ob sie unbedingt so viele U-Boote und die größte Panzerarmee Europas brauchen? Man sollte der griechischen Regierung eine Chance geben. Die Regierungsmannschaft ist unerfahren, aber eben auch unbelastet. Vielleicht ist es besser, ein Kabinett zu haben, dass sich erst einarbeiten muss, aber dafür nicht in ein System von Korruption und Intransparenz verstrickt ist. Die Frage der historischen Schuld ist dieser Tage wieder in den Fokus gerückt. Die Deutschen haben in Griechenland so schlimm gewütet wie in den anderen Ländern, die sie überfallen haben. Sie verübten schreckliche Massaker an der Zivilbevölkerung. Dagegen erscheinen Zwangskredite, die die Deutschen den Griechen abpressten eigentlich unwichtig. Geldzahlungen können eine solche Schuld nicht tilgen, sie ist nicht zu tilgen. Aber Geldzahlungen haben eine hohe symbolische Bedeutung. Nach dem Krieg hat sich Deutschland mit dem Argument um solche Zahlungen gedrückt, es müsse erst ein Friedensvertrag geschlossen werden. Als 1990 der Zwei-plus-Vier-Vertrag geschlossen wurde, wurde die Frage der Reparationszahlungen ausgespart. Seit Abschluss des Vertrages, ist es offizielle Linie der Bundesregierung, dass mit dem Zwei-Plus-Vier-Vertrag die Frage der Reparationen abschließend geklärt ist. Das ist ein unwürdiger Trick. Ich spreche mich dafür aus, die Frage der finanziellen „Entschädigung“ für deutsche Kriegsverbrechen mit den Griechen neu aufzurollen. Dass in diesen Tagen versucht wird, diese Frage in der griechischen Finanzmisere zu instrumentalisieren, um ohne Auflagen an Geld zu bekommen, ist bedauerlich und schadet den berechtigten Forderungen der Griechen. Und diesen Eindruck muss man haben, wenn die griechische Regierung berechnet, dass ihnen an Reparationszahlungen 12 Mrd Euro mehr zustehen, als Griechenland Schulden hat. Die Hetze der Bildzeitung, die sie schon seit Jahren betreibt, ist in meinen Augen nur noch abstoßend. Ich finde, wir sollten uns mit den Griechen solidarisch zeigen, denn bei allen ökonomischen Vorteilen, die die Währungsunion bietet, das wichtigste was Europa zusammenhalten sollte, sind für mich immer noch die europäischen Werte: Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, nicht zuletzt auch Völkerfreundschaft und Solidarität.

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